Narzisst im Spiegel

Narzissmus – zum Umgang mit narzisstischen Partner*innen, Vorgesetzten und Kolleg*innen

Spätestens seit Donald Trump hat das Konzept des Narzissmus Einzug in unsere Wohnzimmer gehalten. In der einschlägigen Presse findet man heute deutlich mehr Artikel über narzisstische Persönlichkeiten und das Störungsbild des Narzissmus als noch vor ein paar Jahren. Auch gibt es mehr Beratungsangebote für den Umgang mit narzisstischen Ehepartner*innen, Vorgesetzten oder Kolleg*innen. Kongresse zur Thematik, bspw. im November 2019 das Symposion „Beziehungskultur statt Egokult“ (Odenwald-Institut) sorgen für ein besseres Wissen über den Umgang mit Narzissten.

Im Alltag begegnen wir immer wieder Menschen mit narzisstischen Eigenschaften, im amerikanischen Kontext auch „brilliant jerks“ (brilliante Idioten) genannt. Lesen Sie nachfolgend mehr über narzisstische Eigenschaften, ihre Auswirkungen in der Organisation und den Umgang mit diesen Menschen.

Narzissmus im umgangssprachlichen Sinne

Zum Narzissmus gibt es viele verschiedene Konzepte. Dazu gehört auch die narzisstische Persönlichkeitsstörung im Sinne des ICD-10, der internationalen Klassifizierung von psychischen Erkrankungen. Man verbindet mit diesem Begriff eigentlich immer ein aufgeblähtes, brüchiges Selbstwertgefühl, das durch ein Selbstbild von Großartigkeit, Überlegenheit, Selbstsucht und Verachtung gegenüber anderen Menschen versucht wird zu kompensieren (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie). Der Vorarlberger Psychiater Reinhard Haller spricht auch von den 4 E des Narzissmus: extreme Egozentrik, ein großes Maß an Empfindlichkeit, Mangel an Einfühlungsfähigkeit und letztlich Entwertung anderer Menschen. Oder, wie die amerikanische Psychotherapeutin und Narzissmusspezialistin Elinor Greenberg es nennt: Selbstbezogenheit, Scham, Sensibilität gegenüber Kritik und Statussuche (4 S).

Umgangssprachlich sind damit solche Menschen gemeint, die sich mit einem erhöhten Selbstanspruch den Ansprüchen der Gemeinschaft entziehen (Wikipedia). Im Berufsalltag wissen diese Menschen sich nicht nur durch Karrieredenken und Machtanspruch durchzusetzen, sondern auch durch die Fähigkeit andere zu überzeugen und sogar zu begeistern. So finden sich häufig treue Anhänger im Schatten solcher Menschen, die glauben mit dessen Erfolg ihr eigenes Ich aufwerten zu können. Diese Menschen sehen sich selbst als etwas Besonderes und erwarten infolge dessen auch eine besondere Behandlung im Sinne von Aufmerksamkeit, Zuwendung, Folgebereitschaft und Zustimmung.

Der Unterschied zwischen narzisstischen Zügen und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Der Unterschied zwischen einem Menschen mit narzisstischen Zügen und einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung wird durch die Objektbeziehungstheorie des Psychoanalytikers James F. Masterson erklärt. Dabei kommt es nicht darauf an, wie viele narzisstischen Verhaltensweisen jemand hat. Wenn man sich und anderen zugesteht, gleichermaßen gute wie schlechte Eigenschaften zu haben, dann hat man das, was die Psychoanalyse eine integrierte Objektbeziehung nennt. Also eine differenzierte Beziehung zu sich und anderen Menschen. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung nehmen sich als entweder/oder wahr: Entweder jemand ist ganz und gar gut oder kompetent oder genau das Gegenteil. Wenn etwas stört, dann wird die Beziehung beendet und das kann auch nach zwanzig Jahren sein.

Narzisstische Persönlichkeiten im Berufsalltag

Man könnte die Hypothese aufstellen, dass bestimmte, dem Narzissmus zugeschriebene Persönlichkeitseigenschaften in den oberen Managementetagen eher anzutreffen sind, sind sie doch auch mitunter Garant für erfolgreiche Karrieren. Das bedeutet auch, dass sogenannte narzisstische Eigenschaften sowie auch ein Machtanspruch an sich nicht negativ konnotiert sind. Wie immer gilt: „Die Dosis macht das Gift“! Gesunder Narzissmus hat nichts mit irgendeiner Störung zu tun. Negativ werden Eigenschaften erst in der Übersteigerung bzw. im falschen Kontext. Sich durchsetzen zu wollen kann sich in gut dosierter Entscheidungsfähigkeit zeigen, aber auch in brachialem Drüberfahren.

Im beruflichen Alltag erlebt man narzisstisch akzentuierte Menschen vehement ihre Erwartungen zu vertreten und dabei durchaus kämpferisch aufzutreten. Statussymbole sind ihnen wichtig und Neid auf andere ist ihnen vertraut. Dabei wissen sie durchaus auch mit berechnender Empathie zu manipulieren, Schuldgefühle zu machen und andere durch Provokation zu destabilisieren.

Simon Sinek und „toxic Leaders“

Es gibt ein auf den Punkt gebrachtes youtube-Video vom britisch-amerikanischen Unternehmensberater Simon Sinek. In nur drei Minuten stellt er die zwei wesentlichen Managementkompetenzen Trust & Performance einander gegenüber. Alle Unternehmen wünschen sich Mitarbeiter*innen und Führende mit hohen Sozialkompetenzen (Trust) und überdurchschnittlicher Leistungsfähigkeit (Performance). „Gefährlich“ sind allerdings die Menschen mit maximaler Leistungsausprägung und geringen „Trust“-Werten.

Diese „Highperformer of low trust“ (Menschen mit großer Leistungsfähigkeit und geringer Sozialkompetenz) bezeichnet Sinek als „toxic leaders and toxic team members” (vergiftende Führungskräfte und Team-Mitglieder). Am Beispiel der amerikanischen Navy Seals macht er deutlich, warum diese „Highperformance-Organisation“ durchschnittliche Performer mit hoher Sozialkompetenz den Highperformern mit geringer Sozialkompetenz vorzieht.

Wie Organisationen „Toxicity“ im Unternehmen fördern und was es sie kostet

Viele Organisationen orientieren sich in ihrer Personalauswahl an den Highperformern und messen nicht die Vertrauenswürdigkeit eines Bewerbungskandidaten. Sind diese erst einmal im Unternehmen, wissen sie, wie sie sich mit Machtansprüchen, Leistung und Selbstmarketing in Szene setzen. Die übergeordneten Führungskräfte scheinen dabei die menschlichen Kollateralschäden solch toxischer Persönlichkeiten billigend in Kauf zu nehmen. In meiner Beratungsarbeit sehe ich immer wieder, wie Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen emotional und gesundheitlich auf der Strecke bleiben. Langzeitkrankenstände und Kündigungen sind die Folge.

Man könnte sich fragen, warum Personalverantwortliche so wenig auf Sozialkompetenz, menschliche Vertrauenswürdigkeit und Fairness im Umgang achten und stattdessen narzisstische Verhaltensweisen sogar gefördert oder zumindest ignoriert werden. Wenn Führungskräfte sich aber entscheiden, sich von einem Mitarbeiter bzw. Leader mit hoher Performance und niedriger Sozialkompetenz (high performance and low attitude) zu trennen, kann sich positive Energie (wieder-)entfalten, die vorher unterdrückt wurde. Menschen wachsen über sich hinaus.

Netflix hat übrigens die Unternehmensparole „no brilliant jerks!“ herausgegeben. Das darf man sich doch auf der Zunge zergehen lassen – und vielleicht auf den eigenen Verantwortungsbereich übersetzen.

Ein paar Anregungen zum Umgang mit Narzissten

Vielleicht sind, während Sie diesen Artikel lesen, ein paar Bilder in Ihnen aufgetaucht. Vielleicht sind Sie die Managerin eines solchen Menschen, Kollege auf derselben Hierarchie-Stufe oder schlimmstenfalls unterstellt. Nachfolgend finden Sie einige Anregungen zum Umgang mit Narzissten. Die schlechte Nachricht hierbei ist: Diese Menschen ändern sich nicht, bzw. nur dann, wenn für sie alles – Familie, Frau, Job, … – auf dem Spiel stehen.

Die gute Nachricht: Sie können lernen, wie Sie sich gut abgrenzen.

  • Die Dynamik erkennen: Nehmen Sie wahr, wie mit Ihnen umgegangen wird. Werden Sie abgewertet, runtergemacht, durch Provokation destabilisiert, fühlen Sie sich durch Schuldgefühle manipuliert oder durch ungerechtfertigte Vergleiche herabgesetzt? Beobachten Sie, wie mit Ihnen umgegangen wird und was es in Ihnen an Gefühlen und Gedanken auslöst.
  • Nehmen Sie es nicht persönlich: Das ist leichter gesagt, als getan. Aber wenn Sie es schaffen, dann sind Sie einen großen Schritt weiter. Dabei kann auch ein professionelles Coaching helfen, sich innerlich und äußerlich besser abzugrenzen. Achten Sie darauf, innerlich auf Abstand zu bleiben und Manipulationsversuche ggf. gezielt zu hinterfragen.
  • Bleiben Sie unbedingt sachlich und rechnen Sie mit einer geringen Frustrationstoleranz Ihres Gegenübers. Damit vermeiden Sie, ein geringes Selbstbild zu provozieren.
  • Seien Sie klar und deutlich in dem, was Sie wollen und gleichzeitig freundlich. Behalten Sie Ihren eigenen Fokus und Ihr Ziel im Auge. Die Gefahr ist groß, durch die Manipulationsstrategien ihres Gegenübers wieder abgelenkt zu werden. Führen Sie immer wieder auf Ihr Thema zurück und verdeutlichen Sie vor allem auch Ihrem Gegenüber den Nutzen, den er/sie davon hat.
  • Setzen Sie Komplimente gezielt ein und kommen Sie dem Ego des Narzissten in der Sprache entgegen: Narzissten sind manipulativ, gleichzeitig lassen Sie sich auch leicht selbst durch Lob und Anerkennung in eine gewisse Richtung manipulieren. Vor allem dann, wenn man ihnen auch einen eigenen Nutzen aufzeigen kann.
  • Bitten statt fordern: Mit einer Bitte erreichen Sie voraussichtlich mehr als mit einer Forderung. Narzissten lassen sich nicht fordern, das wäre unter ihrer Würde.
  • Taktische Entschuldigung: Erwarten Sie keine Entschuldigung, die werden Sie nicht bekommen. Aber entschuldigen Sie sich (taktisch), wenn Sie eine Provokation vermeiden wollen. Das bedeutet nicht, sich klein zu machen – innerlich werden Sie Ihre Würde behalten, wenn Sie sich bewusst und mit erhobenem Haupt für diesen Schritt entscheiden.
  • Vermeiden Sie Neid und Konkurrenzgefühle bei einem Narzissten: Narzissten können es gar nicht leiden, wenn jemand mehr hat oder mehr kann. Daher geht man diesem Fettnäpfchen am besten aus dem Weg, indem man beispielsweise nicht über das tolle Hotel im Urlaub spricht.
  • Stellen Sie Narzissten nicht vor anderen bloß: Wenn überhaupt geben Sie kritisches Feedback unbedingt unter vier Augen. Narzissten achten mit Argusaugen auf ihre Selbstdarstellung, um ihr brüchiges Ich zu schützen und können Kritik nicht vertragen.
  • Machen Sie Grenzüberschreitungen zum Thema, im Sinne von „Hier haben Sie eine rote Linie überschritten, so lasse ich nicht mit mir umgehen.“ Und dann beschreiben Sie sachlich die Fakten. Lassen Sie sich nicht zum willigen Opfer machen, das schadet auf Dauer nur Ihrer Psyche.

  • Behalten Sie im Kopf „Narzissten lassen sich nicht ändern!“: Bevor Sie sich innerlich aufreiben und seelisch krank werden – was nicht zu selten geschieht, suchen Sie sich professionelle Hilfe bzw. trennen Sie sich. Das klingt hart, aber manchmal ist dies der einzige Ausweg aus einer verfahrenen Situation. Narzissten können das eigene Selbst so destabilisieren, dass dann nur noch der Ausstieg aus einer solchen Beziehung und die psychologische Aufarbeitung bleibt.

Psychologische Beratung zum Umgang mit narzisstischen Menschen!?

Mailen Sie mir oder rufen Sie mich an: michaela.stark@blaufeuer.at, +43 664 5451 340

Quelle

Hier geht’s zum Video von Simon Sinek „Trust & Performance“, Dauer 2.21 Minuten

Literaturempfehlungen zu Narzissmus

Reinhard Haller: Die Narzissmusfalle – Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis, 2019

Iris Janssen: Narzissmus entlarven und verstehen: Die besten Tipps und Tricks, dich vor Narzissten zu schützen, 2020

Wolfgang Schmidbauer: Die Geheimnisse der Kränkung und das Rätsel des Narzissmus, 2019

Bärbel Wardetzki: Weiblicher Narzissmus – Der Hunger nach Anerkennung, 2016