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Ruhe im Kopf – Zum Umgang mit dem Grübeln

Gerade jetzt, in der Corona-Krise, gibt es viele Gründe, um nachzudenken, sich Sorgen zu machen und ins Grübeln zu kommen. Unser Geist ist überaktiv und stürzt sich auf seine beiden Lieblingsthemen „Was war?“ und „Was wird sein?“. Die eigentliche Warnfunktion dieses Nachdenkens hat sich, auch durch die neuen Medien, bei vielen verselbständigt. Dabei ist uns nicht bewusst, dass permanentes sorgenvolles Kopfzerbrechen kontraproduktiv ist.

Eins führt ins andere. Viele Studien zeigen, dass Grübeln weit verbreitet ist und gleichzeitig keinesfalls guttut. Forscher konnten messen, dass über ein Problem zu grübeln – während man gleichzeitig etwas anderes tut – traurig und missmutig macht. Wir kommen so in einen Zustand, den wir eigentlich gerade dann gar nicht brauchen können. Schon nach kurzer Zeit dämpft Grübeln unsere Stimmung.

So konnte die 2013 verstorbene Yale-Professorin Susan Nolan-Hoeksema mit ihrem Team den von ihr so genannten „Hefeteig-Effekt des Grübelns“ nachweisen. Ein grüblerischer Gedanke weckt dabei andere. Und wer kennt das nicht?

Was wir uns unbewusst vom Grübeln versprechen und wie wir es dadurch verstärken

Psychotherapieforscher gehen davon aus, dass Menschen, die permanent grübeln, sich etwas davon versprechen. Sie glauben nämlich letztendlich, dass es einen Sinn hat, Probleme sehr lange von allen Seiten zu beleuchten. In einem Gruppentraining von Tobias Teismann lernten TeilnehmerInnen im ersten Schritt, ihre Überzeugungen zum Thema Grübeln zu erkennen:

Positive & negative Gedanken. Positive Gedanken über das Denken, wie „Wenn ich darüber nachdenke, tue ich wenigstens ein bisschen was, um das Problem zu lösen“ laden zum Grübeln ein und verstärken es. Die Kehrseite, „Diese nervige Grübelei, wann hört sie endlich auf?“ hilft allerdings auch nicht weiter, denn wenn man einen Gedanken unbedingt loswerden will, kommt er wie ein Bumerang umso stärker wieder.

Beide Einstellungen zum Grübeln tragen gleichermaßen dazu bei, dass sich die Grübelschleifen verstärken. Wir können uns stattdessen fragen, ob intensives Nachdenken bei einer Sorge, z.B. dem Angst vor Jobverlust, jetzt hilfreich ist. Vor allem, wenn noch gar nicht absehbar ist, ob mich diese Situation überhaupt treffen wird. Sich bewusst Zeit zu nehmen, um sich mit einem Worst-Case-Szenario auseinanderzusetzten, ist sicherlich sinnvoll. Jeden Tag darüber nachzugrübeln weniger.

Warum das Grübeln Stress macht

„Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.“ Dieses Zitat von Epiktet beinhaltet einen wichtigen Hinweis. Erst unsere Einstellung zu etwas macht aus einem Gedanken eine große Sorge und erzeugt somit Stress. Beispielsweise wenn wir einen potentiellen Jobverlust als für uns existenzbedrohlich einschätzen.

Stress ist körperlich spürbar. Dieser Stress wirkt sich vor allem auch physiologisch aus. Wir schütten mehr Stresshormone – wie Adrenalin und Kortisol – aus. Dadurch entwickeln wir u.a. einen Tunnelblick, sind sorgenvoll und kognitiv überaktiv, aber nicht produktiv.

Tempo rausnehmen. Der Psychotherapeut Andreas Knuf rät daher Menschen, die viel mit Gedankenschleifen zu tun haben, Tempo aus ihrem Leben zu nehmen. Es sei wichtig, sich generell mehr Zeit ohne Termine und stille Momente zu gönnen – was viele von uns nicht mehr gewöhnt sind. Gerade Krisen, so wie die Corona-Quarantäne sind gute Gelegenheiten, eine Musterunterbrechung vorzunehmen und im Kleinen zu schauen, was für mich ganz persönlich ein stiller Moment sein kann. Der bewusst genossene Kaffee, die Zeitung auf dem Sofa, zehn  Minuten ohne Handy draußen sitzen.

Wichtig ist hier auch zwischen Nachdenken und Sorgen machen zu unterscheiden. Nachdenken bedeutet, sich zu fragen, wie man die Situation am besten angehen, lösen und verändern kann. Sich Sorgen zu machen bedeutet meist, um ein potentiell negatives Ereignis zu kreisen.

Hier kommen alte Kulturtechniken wie Meditation, Yoga und Achtsamkeit zum Einsatz [Anm. Literaturempfehlung am Ende des Artikels]. Vielleicht schaffen wir es ja jetzt,

  • eine Runde spazieren zu gehen
  • ein gutes Buch zu lesen
  • täglich fünf Sonnengrüße zu machen

Das würde vom Brüten ablenken. Solche Veränderungen wirken allerdings nicht von heute auf morgen, aber einige Wochen Übung kann schon eine Verbesserung erzielen.

Die trügerische Selbstberuhigung

Schwedische Forscher konnten bereits 2008 nachweisen, dass vor allem der Versuch, sich selbst gedanklich zu beruhigen das Grübeln aufrechterhält. Vermeintlich tut es gut und verschafft kurzfristig Erleichterung. Aber wir bleiben gedanklich in der Schleife stecken. Um das Gedankenmuster zu durchbrechen, ist es deshalb umso wichtiger, Sorgengedanken und Beruhigungsgedanken gleichermaßen loszulassen. Dann macht sich möglicherweise erst einmal Angst breit – doch wenn wir diesen Zustand einige Tage aushalten, wird das Grübeln deutlich weniger, das System erhält kein Futter mehr.

Berechtigte Ängste. Und mal ganz ehrlich, unter uns, es ist ja tatsächlich beängstigend, sich vorzustellen, dass man seinen Job verliert, die Familie erkranken könnte, die Wirtschaft zusammenbrechen könnte. Also hat die so unangenehme Angst ja auch tatsächlich eine Existenzberechtigung, auch wenn wir das nicht so hören wollen. Wir wissen doch, Gefühle wegschalten zu wollen klappt nicht einfach so. Dann sollten wir genau das Gegenteil machen, unsere Gefühle wahr- und ernstnehmen. Auch wenn es schmerzhaft ist und das im Sinne des Wortes. So können die unangenehmen Gefühle tatsächlich kleiner werden, durch Akzeptanz!

Die Schleife durchbrechen. Ein Tipp für PartnerInnen von „Grübelkandidaten“, die häufig den Beruhigungspart übernehmen und damit auch unbewusst dazu beitragen, das Sorgensystem aufrecht zu erhalten. Es reicht, wenn PartnerInnen einen liebevollen Kommentar abgeben, zum Beispiel „Ist die Sorgenmaschine mal wieder angestellt?“. Dann benennt man die Grübelei als das, was sie ist – überflüssige und redundante Gedankenproduktion – steigt aber nicht in der Pingpongspiel aus Sorge und Beschwichtigung ein.

Hilfreiche Techniken

Verschiedene Therapieansätze halten konkrete Übungen zum Unterbrechen von Sorgen und Grübeln bereit.

Gedanken loslassen

Imaginationsübungen helfen dabei, quälende Gedanken loszulassen.

So geht es: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem Fluss, lassen Sie das Bild auf sich wirken und sehen, wie der ruhige Strom vorbeizieht. Falls ein Gedanke auftaucht, der Sie quält, stellen Sie sich vor, wie Sie diesen Gedanken auf ein Blatt Papier schreiben und dieses schwimmen und vorbeiziehen lassen. Lassen Sie sich Zeit und beobachten Sie, wie das Blatt langsam von Ihnen wegschwimmt, bis sie es nicht mehr sehen.

Diese Übung eignet sich besonders für Menschen, die sich Dinge gut bildlich vorstellen können. Mehr dazu: Matthias Wengenroth: Das Leben annehmen. So hilft die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (Hogrefe)

Grübelzeiten festlegen

Wie wäre es, den Hauptteil des Tages zur „grübelfreien Zone“ zu machen? Besonders geeignet für Personen, die mehrere Stunden am Tag grübeln.

So geht es: Legen Sie im Vorfeld fest, wann Sie sich am Tag eine Grübelzeit von 20 Minuten erlauben wollen. Wenn während des Tages Sorgen auftauchen, notieren Sie die Gedanken für später und lenken Sie die Aufmerksamkeit dann auf etwas anderes.

Mehr dazu: Es gibt verschiedene Techniken, mit denen es gelingt, belastende Gedanken links liegenzulassen. Z.B. Pia Callesen: Lebe mehr, grüble weniger (Beltz)

Ablenkung – etwas anderes tun

Wenn es darum geht, aus Grübelschleifen rauszukommen, kann Ablenkung etwas Gutes sein. Vor allem Aufgaben, bei denen wir ein gewisses Maß an geistiger Anforderung brauchen, können unsere Geist auf andere Dinge legen, z.B. Solitär spielen. Geht auch am Laptop ganz wunderbar alleine für sich. Besonders Bewegung hat hier auch einen guten Einfluss, belastende Gedanken werden geringer. Auch das Ausmalen von Vorlagen hat einen hohen Ablenkungseffekt und hebt sogar die Stimmung, da wir eine wiederholende Tätigkeit machen, die Kontrolle haben und ein Ergebnis sehen.

So geht es: Sobald Sie merken, dass Sie sich an einem Thema festbeißen, unternehmen Sie einen Situationswechsel. Stehen Sie auf, tun Sie etwas, gehen Sie spazieren, joggen oder lenken Sie sich mit Dingen ab, die Sie gerne tun, beispielsweise telefonieren, kochen, backen. Bleiben Sie 20 Minuten dabei.

Mehr dazu: Ein gewisses Repertoire an Ablenkungstechniken kann hier hilfreich sein.

Worst Case – best Case

Hier geht es darum, neben den mentalen Sorgenraum einen neuen Hoffnungsraum entstehen zu lassen und so ein Gleichgewicht herzustellen.

So geht es: Malen Sie sich zunächst das Schlimmste aus, was Sie sich vorstellen können, und lassen Sie es stehen. Daneben öffnen Sie einen Raum mit der größten Hoffnung, die Sie haben. Auch dieses Bild schauen Sie sich an. Dann lassen Sie beide Bilder in der Schwebe stehen, wie eine gut ausgependelte Händlerwaage. Sie spüren gleich, dass sich etwas verschiebt. Und wahrscheinlich wird das, was die Zukunft bringt, am Ende etwas dazwischen sein.

Literatur zum Thema

Andreas Knuf: Ruhe da oben! Der Weg zu einem gelassenen Geist, Arbor 2019

Psychologie Heute compact, Yoga, Meditation, Achtsamkeit, Beltz 2020

Quelle

Hier geht’s zum Originalartikel von Georg Milzner in Psychologie Heute, 3/2020: Ruhe im Kopf

https://www.psychologie-heute.de/abo-shop/detailseite/39996-psychologie-heute-32020-ruhe-im-kopf.html