Sich entschuldigen

„Sich entschuldigen“ als Führungskraft – Gesichtsverlust oder Vertrauenszugewinn?

Auf der Heimfahrt höre ich in FM4, den Beginn einer Sendung über die philosophische Seite der Entschuldigung. Sofort gehen mir diverse Gedanken durch den Kopf: „Entschuldigung – sich entschuldigen – Schuld loswerden – kann man sich überhaupt entschuldigen? – muss der andere die Entschuldigung annehmen? – der Sündenbock und die Schuld – sich als Führungskraft entschuldigen: Gewinn oder Gesichtsverlust? – Entschuldigung als Psychohygiene in einem Team …“

Erfahren Sie nachfolgend mehr aus meiner Sicht als Beraterin.

Die Sache mit der Schuld

Menschen machen sich schuldig – absichtlich und unabsichtlich. Wir treten anderen zu nahe, wir kränken sie, wir sind unzuverlässig, wir sind übergriffig. Das liegt in unserer Natur. Häufig passiert es aus Unachtsamkeit, manchmal mit bitterer Absicht. Ich rede hier von den unabsichtlichen Vergehen, die dennoch stark kränkend sein können.

Kürzlich erst habe ich in einer stark emotionalisierten Teamdiskussion zu einem Sachverhalt Stellung bezogen und dabei – unbeabsichtigt – einige TeilnehmerInnen kritisch bewertet. Das hätte mir im Sinne der Neutralität nicht passieren dürfen. Inhaltlich hatte ich wahrscheinlich Recht. Aber damit, jemanden vor der Mannschaft zu kritisieren, das stand mir nicht zu.

So etwas passiert. Die Frage ist nur, wie gehen wir als Führende und Beratende gerade auch im Businessalltag mit solchen Situationen um? Und was passiert, wenn wir nicht damit umgehen?

Der Sündenbock im Alten Testament

Seit Adam und Eva kennen wir die Frage der Sünde und der Schuld – und die Ambivalenz im Umgang damit. Mir hat die Geschichte des Sündenbocks aus dem Alten Testament immer gut gefallen:

Hier wird die Dorfgemeinschaft ihrer Schuld enthoben, indem einmal im Jahr ein Bock im Sinne des Wortes in die Wüste geschickt wird. Dabei nimmt er symbolisch die Sünden der Dorfgemeinschaft mit sich und ermöglicht so einen zwischenmenschlichen und sozialen Neustart im Umgang miteinander.

Heute haben wir auch unsere Sündenböcke. Sie entlasten uns kurzfristig, wenn wir beispielsweise einem Kollegen unseren Ärger über ein verpatztes Meeting umhängen, aber wir belasten andere unfairerweise.

Sich entschuldigen und der Gesichtsverlust

Viele Konflikte würden gar nicht erst entstehen, fiele es uns leichter, uns für ein Vergehen zu entschuldigen. In meinen Coachings ringen ManagerInnen immer wieder mit dem Risiko des Gesichtsverlusts und übersehen dabei, dass sie das Gesicht eigentlich schon längst verloren haben – nämlich durch die Aktion davor.

Mit meiner Bewertung in obigem Beispiel war mein „Gesichtsverlust“ schon passiert. Die Entschuldigung hilft dabei, die angespannte Beziehung wieder zu glätten, wenn man den Mut hat, Stellung zu seinen Fehlern zu beziehen. Im ersten Schritt war es für mich herausfordernd, mich zu meinem Fehler zu bekennen. Aber nachdem mir das gelungen war, war es ganz selbstverständlich, in der Folge bei meinem nächsten Termin klar zu benennen, dass ich über das Ziel hinausgeschossen und zwei KollegInnen gekränkt hatte. Mit meiner Entschuldigung konnte ich die Vertrauensbasis wiederherstellen; sie war sogar noch gewachsen. So war ich hoffentlich ein Modell dafür, was möglich ist, wenn man einen Fehler bekennt. Man behält eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung.

Wie wollen wir Folgebereitschaft erreichen, als Führende oder Beratende, wenn wir nicht zu unseren Fehlern stehen und uns auch ggf. dafür entschuldigen können.

Und was, wenn die Entschuldigung nicht angenommen wird?

Ja, das ist ein Risiko. Und auch diese Erfahrung habe ich schon gemacht. Wir haben keinen Einfluss darauf, dass eine Entschuldigung angenommen wird, aber wir haben zumindest einen klaren Schritt gesetzt.

Gerade soziale Konflikte entstehen meist aus anfänglichen Irritationen; unbesprochen können sie sich aufsummieren. Wie beim guten alten „Rabattmarkenheft“, das man, wenn es voll ist, beim Greissler einlöst. So machen wir das auch, wenn wir uns über jemanden ärgern. Wir schlucken und schlucken und kleben unsere Rabattmarken. Irgendwann ist unser Ärger-Heft voll und dann wird es eingelöst, d.h. dann explodiert unser Ärger.

Indem wir unsere Irritationen vorher ansprechen und dem anderen die Chance geben, sich zu entschuldigen, sorgen wir dafür, dass das Rabattmarkenheft einigermaßen leer bleibt.

Kürzlich fragte mich ein Geschäftsführer „Wie begeistere ich meine Mannschaft?“. Das Thema ist nicht, Mitarbeitende zu motivieren, das sind sie hoffentlich von selbst, sondern Demotivation zu vermeiden.

In diesem Sinne: entschuldigen wir uns! In den Augen der meisten Mitarbeitenden werden wir wachsen.